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„KI: Neue Technologien erweitern das Spektrum im Portfoliomanagement“
Fast wäre es in der Nachrichtenflut untergegangen: Mit Hilfe künstlicher Intelligenz (KI) haben Wissenschaftler und Musiker die unvollendete 10. Sinfonie Ludwig van Beethovens ergänzt und im Oktober 2021 uraufgeführt – 195 Jahre nach dem Tod des Komponisten. Das Beispiel der Beethoven-Sinfonie dürfte bei Skeptikern einmal mehr die Frage aufwerfen, ob KI den „menschlichen Faktor“ in der Zukunft ersetzen kann.
Dabei ist die Realität heute weitaus nüchterner. Anwendungen künstlicher Intelligenz sind 2021 bereits allgegenwärtig. Alexa, Spotify und Internetshopping machen algorithmusbasierte Suchsysteme mittlerweile für viele Menschen im Alltag erlebbar. In Bereichen wie autonomer Mobilität oder bei KI-basierten Diagnosesystemen in der Medizin winken enorme wirtschaftliche Potenziale. Diese Anwendungsmöglichkeiten basieren zum großen Teil auf dem vielleicht bekanntesten Teilgebiet künstlicher Intelligenz: dem maschinellen Lernen (Machine Learning).
Im Kern geht es beim Machine Learning darum, mit Hilfe von Algorithmen aus großen, unstrukturierten Datenmengen sinnvolle und relevante Informationen zu extrahieren, indem Regelmäßigkeiten, Wiederholungen oder Ähnlichkeiten maschinell erfasst werden. Die Identifikation solcher Muster ist ein wesentliches Element. Das Besondere am Machine Learning ist die Fähigkeit des jeweiligen Algorithmus, selbst zu „lernen“, welche Verbindungen und Muster relevant sind.
Technologische Entwicklung unterstützt KI.
Die Anwendungsmöglichkeiten künstlicher Intelligenz und maschinellen Lernens haben in den vergangenen zehn Jahren durch verschiedene Faktoren einen Schub bekommen. Da ist zunächst die Leistungsfähigkeit moderner Computer. Schon heutige Standard-Smartphones haben die millionenfache Rechenleistung des Bordcomputers der Apollo-11-Mondmission von 1969. Bei KI-Systemen verdoppelt sich die Rechenleistung etwa alle dreieinhalb Monate. Während die Hardwarekomponenten immer leistungsfähiger werden, gelingt es den Entwicklern gleichzeitig, immer mehr Performance aus der Hardware herauszuholen. Hinzu kommt, dass heute enorme Datenmengen aus unterschiedlichen Quellen zur Verfügung stehen und ausgewertet werden können. Ob Transaktionsdaten von Zahlungssystemen, Onlinehandel, E-Mails, Social-Media-Posts oder Bewegungsprofile von Mobilfunkgeräten – die Menge an Text-, Bild- oder Bewegtbilddaten wächst stetig. Das Institut der deutschen Wirtschaft schätzt, dass das weltweite Datenvolumen von rund 33 Zettabyte (ZB) im Jahr 2018 auf 175 ZB im Jahr 2025 ansteigen wird. Ein Zettabyte umfasst 1021 Byte, das entspricht der unglaublichen Datenmenge von rund 2 Billionen Filmen à 90 Minuten. Aus diesem Datenmeer lassen sich mit Hilfe von Algorithmen Muster identifizieren – und zunehmend auch Vorhersagen ableiten. Das schafft eine Vielzahl von neuen Einsatzmöglichkeiten für Machine Learning.
Machine Learning im Portfoliomanagement.
Asset Manager wie die Deka setzen Machine Learning heute bereits in unterschiedlichen Bereichen ein, unter anderem im Portfoliomanagement. Die Analyse und richtige Interpretation von Daten und Zusammenhängen ist dabei ausschlaggebend für die Generierung von Alpha. Mit Machine Learning können größere Datenmengen analysiert werden, als durch eine rein menschliche Analyse. Mit Hilfe des Natural Language Processing (NLP), einer Teildisziplin des Machine Learning, lassen sich beispielsweise aus Millionen von Nachrichtenartikeln alle relevanten Informationen herausfiltern und bewerten. Und das kann sehr Vieles sein: Aktienwerte, in die investiert wurde oder in die investiert werden soll, Produkte dieser Firmen, die aus unterschiedlichen Gründen in den Fokus der Öffentlichkeit geraten, oder marktrelevante Äußerungen von Vorständen, Wissenschaftlern oder Politikern. Stellt man etwa die Antworten von CEOs in Analystenkonferenzen in Zusammenhang mit der anschließenden Entwicklung der jeweiligen Aktien, entsteht so über einen Betrachtungszeitraum von mehreren Jahren ein Bild der Glaubwürdigkeit und Belastbarkeit der jeweiligen Aussagen des betreffenden CEO. Auch die Interpretation von Bilddaten kann dabei helfen, Aussagen zur Entwicklung und der Qualität von Unternehmen zu bekommen. Ein häufig genanntes Beispiel sind Satellitenbilder, die über die Anzahl von Pkws auf den Parkplätzen von Shoppingcentern an Ferientagen Aufschluss über mögliche Umsatzentwicklungen geben können. Aber die Menge schafft neue Herausforderungen: „Wir greifen bei unseren Machine Learning-Konzepten auf rund 1,3 Millionen Einzelbeobachtungen aus dem Zeitraum von 1999 bis 2021 zurück, das sind über 1.100 Datenpunkte pro Woche“, erklärt Dr. Dominik Wolff, Portfoliomanager bei der Deka Investment. „Hier kommen Menschen einfach an ihre Grenzen. Machine Learning ermöglicht es uns, diese Daten auszuwerten und entsprechende Rückschlüsse zu ziehen.“
Menschliche Expertise nicht ersetzbar.
Die wachsenden technischen Kapazitäten erweitern das Spektrum der Analysemöglichkeiten. Die langjährige Erfahrung menschlicher Analysten können sie bislang aber nicht vollständig ersetzen. Zwar werden Algorithmen verstärkt auch dazu genutzt, psychologische Faktoren menschlicher Entscheidungen wie Bestätigungsfehler, Verlustaversion oder Selbstüberschätzung zu identifizieren und zu beseitigen. Umgekehrt sind Machine Learning-Systeme aber darauf angewiesen, dass die eingegebenen Daten zur Aufgabenstellung passen und in ihrer Historie vollständig und schlüssig sind. Diese Prüfung fällt in den Zuständigkeitsbereich von Datenanalysten, die entsprechende Datenquellen finden, erschließen und die Daten aufbereiten. Auch die Interpretation der Analyseergebnisse bleibt Aufgabe der menschlichen Investmentprofis. Denn die Algorithmen liefern zwar Hinweise auf Muster in den Daten, aber ob die gefundenen Korrelationen tatsächlich ein belastbares Signal darstellen oder nur „Datenlärm“ sind, und vor allem, wie ein identifiziertes Signal letztendlich in eine Investmententscheidung umgesetzt wird, lässt sich häufig nur auf Basis langjähriger Markterfahrung entscheiden.
Beethovens 10. Sinfonie wurde durch künstliche Intelligenz vollendet. Sie basiert aber auf den Skizzen und Notizen des Künstlers. So wie in diesem Beispiel auch, ist künstliche Intelligenz im Portfoliomanagement eine wertvolle Ergänzung – und kein Ersatz – der menschlichen Expertise.